Ausgabe 1/2023, Februar
WIdO-Themen
Online-Portal "Qualitätsmonitor" - Brustkrebs-OPs: Viele Kliniken sind nicht zertifiziert
Gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wünschen sich Patientinnen und Patienten im Krankenhaus vor allem eines: Sie wollen gut versorgt werden. Die Krankenhausplanung der Länder soll genau dies gewährleisten. Das neue Onlineportal qualitaetsmonitor.de zeigt für die Behandlung von Herzinfarkten, Lungen- und Brustkrebs, wo das bereits gelingt und wo es noch Qualitätsprobleme gibt.
Analysen im Qualitätsmonitor, dem neuen Online-Angebot des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), zeigen: Im Jahr 2020 waren insgesamt 252 der 575 an der operativen Brustkrebs-Versorgung beteiligten Krankenhäuser nicht zertifiziert. Mit 43,8 Prozent liegt ihr Anteil damit zwar etwas niedriger als im Jahr 2016 (48,5 Prozent), aber immer noch viel zu hoch. Mit der Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) und in Nordrhein-Westfalen durch die Zertifizierungsstelle der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKzert) belegen Kliniken, dass sie zentrale Anforderungen einer optimalen, leitliniengerechten Brustkrebsbehandlung erfüllen. Sie müssen zudem Mindestfallzahlen erreichen und damit Erfahrung in der operativen Brustkrebsbehandlung nachweisen. Jüngste Ergebnisse der bundesweiten Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) zeigen Überlebensvorteile für Patientinnen, die in DKG-zertifizierten Häusern behandelt wurden. Bundesweit wurden 2020 aber noch immer rund 10.000 Brustkrebsoperationen in nicht zertifizierten Kliniken durchgeführt.
Auch bei der Herzinfarkt-Versorgung gibt es laut Qualitätsmonitor noch Strukturprobleme. Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt sollten Betroffene umgehend in ein Krankenhaus mit Herzkatheterlabor gebracht werden, wo der Gefäßverschluss geöffnet werden kann. Doch 2020 verfügten rund 40 Prozent der Kliniken, die Herzinfarktpatienten behandelten, nicht über ein Herzkatheterlabor. Über 14.000 stationär behandelte Herzinfarktfälle wurden in Kliniken ohne Katheterlabor versorgt. Der Qualitätsmonitor zeigt, dass Kliniken mit mehr als 240 Herzinfarktbehandlungen pro Jahr fast ausnahmslos rund um die Uhr Zugriff auf ein Herzkatheterlabor haben.
Anhand detaillierter Daten zur Strukturqualität deutscher Krankenhäuser sind in dem neuen Online-Portal regionale Auswertungen und Zeitreihenanalysen für drei Behandlungsanlässe und insgesamt sieben Qualitätsindikatoren möglich. Es soll jährlich aktualisiert und um weitere Behandlungsanlässe und Qualitätsindikatoren erweitert werden.
„Bei den Krankenhausstrukturen besteht im Hinblick auf eine qualitativ gute Versorgung weiter Nachholbedarf.“
Dr. Dagmar Drogan ist Projektleiterin Risikoprädiktion im Forschungsbereich Qualitäts- und Versorgungsforschung des WIdO.
Arzneimittel: ATC-Klassifikation 2023 jetzt amtlich
Seit dem 1. Januar gilt die neue anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC) mit Tagesdosen (DDD) für den deutschen Arzneimittelmarkt. Sie bildet die Grundlage, um Verordnungsdaten von Arzneimitteln in therapeutischen Gruppen zu vergleichen.
Der aktuelle ATC-Index beruht auf der Version, die das Projekt „GKV-Arzneimittelindex“ im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) im Mai 2022 publiziert hat. Im Rahmen dieses Projekts wird der Index jedes Jahr an die Besonderheiten der Versorgungssituation in Deutschland angepasst. Basis hierfür ist die internationale ATC/DDD-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach Einbindung von Krankenkassen, der Apotheker- und Ärzteschaft und der Pharmaindustrie wird der aktualisierte Index zum 1. Januar des Folgejahres in seine amtliche Fassung überführt. Die Klassifikation für 2023 enthält 7.179 Codes für verschiedene Arzneistoffe und Arzneistoffkombinationen sowie für 3.996 festgelegte Tagesdosen.
Früherkennungsuntersuchungen: Viele Versicherte nutzen Angebote nicht
Eine Langzeit-Auswertung des WIdO auf Basis der AOK-Abrechnungs- daten für die Jahre 2007 bis 2021 macht Lücken bei der regelmäßigen Inanspruchnahme von Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen deutlich.
Der Analyse zufolge nutzte beispielsweise nur etwa die Hälfte der anspruchsberechtigten Ver- sicherten in den vergangenen zehn Jahren eine Koloskopie zur Darmkrebs-Früherkennung, eine ambulante oder stationäre dia- gnostische Koloskopie. Besser sieht es bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs aus: Über 80 Prozent der Frauen zwischen 29 und 40 Jahren nahmen den Empfehlungen entsprechend in mindestens drei von zehn Jahren diese Vorsorge in Anspruch. Die größten Lücken zeigten sich beim Hautkrebs-Screening: Da an nahmen in einem Zehnjahreszeitraum weniger als 35 Prozent der Anspruchsberechtigten mindestens dreimal und rund 33 bis 50 Prozent gar nicht teil.
Die aktuelle WIdO-Publikation bietet umfassende Analysen zur Inanspruchnahme von ins- gesamt sieben Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen
Heilmittelbericht 2022/2023: Sprachtherapie während der Pandemie
Rund 126.500 AOK-versicherte Kinder zwischen fünf und sieben Jahren waren 2021 in sprachtherapeutischer Behandlung. Der leichte Versorgungsrückgang zu Beginn der Corona-Pandemie konnte rasch ausgeglichen werden, zeigt der aktuelle Heilmittelbericht des WIdO.
Sprachentwicklungsstörungen sind die häufigste Entwicklungsstörung bei Kindern. Für über 44 Prozent der Kinder mit einer Heilmittelbehandlung sind Störungen des Sprechens und der Sprache (ICD-F80) der Anlass. Am häufigsten betroffen sind Kinder zwischen fünf und sieben Jahren. Vor der Covid-19-Pandemie lag die Prävalenz von Sprachentwicklungsstörungen in dieser Altersgruppe pro Quartal bei durchschnittlich 161 je 1.000 AOK-versicherten Kindern; seit deren Beginn liegt sie mit 158 je 1.000 Kindern um knapp zwei Prozent darunter. Vor der Pandemie erhielten pro Quartal durchschnittlich 338 von 1.000 betroffenen Kindern eine Sprachtherapie. Nachdem die Behandlungsrate mit Beginn der Pandemie rückläufig war, stieg sie im 1. Quartal 2021 auf 391 je 1.000 Kinder an und war damit höher als zuvor. Gleichzeitig nahm auch die Behandlungsintensität zu: 11,2 Behandlungen je Kind im 1. Quartal 2021 ist der höchste Wert zwischen dem 1. Juli 2018 und dem 31. Dezember 2021. Neun Monate nach Pandemiebeginn wurden mehr Kinder intensiver therapiert; seither ist die Prävalenz stabil, während die Behandlungsrate etwas abgesunken ist.
Für den Heilmittelbericht 2022/2023 hat das WIdO die rund 46,8 Millionen Heilmittelleistungen ausgewertet, die 2021 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet wurden, darunter 16,7 Millionen für AOK-Versicherte. Der Heilmittelumsatz erreichte damit in der Summe 10,2 Milliarden Euro. Der Heilmittelbericht 2022/2023 zeigt Trends in der Heilmittelversorgung der GKV und stellt die Versorgung der AOK- Versicherten alters-, geschlechts- und diagnosespezifisch dar.
Die WIdO-Themen zum Herunterladen
Analysen – Schwerpunkt: Corona und die Folgen
Long Covid - vier klinische Subgruppen und aktuelle gesellschaftliche Folgen
Martin Roesler, AOK-Bundesverband, Stab Medizin, BerlinLong Covid kann in vier Gruppen unterteilt werden, die sich in Begleiterkrankungen, ihrer klinischen Erscheinung und vermutlich ebenfalls in der zugrunde liegenden Krankheitsursache unterscheiden. Die Häufigkeit von Long Covid und Post Covid ist aufgrund eines unspezifischen Krankheitskonzeptes, fehlender Tests und mangelhafter Codierung in den Abrechnungsdaten nicht exakt zu bestimmen – auch weil die Kenntnisse über die personenbezogenen Informationen über Corona-Infektion(en) oder Impfung(en) nicht in den GKV-Abrechnungsdaten enthalten sind. Pharmakologische Ansätze, hyperbare Oxygenierung und Immunadsorption beruhen bisher weitgehend auf anekdotischer Evidenz. Rehabilitationsmaßnahmen werden häufig durchgeführt. Die Empfehlungen hierzu beruhen auf Leitlinien und nicht auf dem Nachweis eines Nutzens gegenüber dem Spontanverlauf. Insbesondere bei ausgeprägter Belastungsintoleranz sind sie zudem nur begrenzt indiziert. Bei vielen Betroffenen bessern sich die Beschwerden im Laufe des ersten Jahres.
Der deutsche Arbeitsmarkt in der Pandemie - und weitere Perspektiven
Ulf Rinne, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, BonnDie Corona-Pandemie beschleunigte den Strukturwandel auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Gemeinsam mit den Auswirkungen des später ausgebrochenen Ukraine-Krieges könnten ihre Folgen eine Zäsur markieren. Denn die sich bereits zuvor vollziehende Transformation des Arbeitsmarktes, getrieben durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie, hat deutlich an Geschwindigkeit zugenommen. Auch wenn sich der deutsche Arbeitsmarkt in der Corona-Krise erneut bemerkenswert robust gezeigt hat, zeichnen sich nun Personalengpässe als Wachstumshemmnis ab. Der Fachkräftemangel hat sich inzwischen zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen und auch den Niedriglohnsektor erreicht. Um das für eine erfolgreiche Bewältigung der transformativen Prozesse erforderliche Humankapital zu sichern, sind Anstrengungen aller gesellschaftlichen Akteure gefordert.
Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während und nach der Covid-19-Pandemie
Clara Jacobi und Hendrik Berth, Medizinische Fakultät, Technische Universität DresdenDie Covid-19-Pandemie stellte eine besondere psychische Belastung für Kinder und Jugendliche dar. Bisherige Studien zeigten vor allem die Auswirkungen während der Kontaktbeschränkungen. Wie sich die psychische Gesundheit seit Ausbruch der Pandemie entwickelte, ist wenig untersucht. In acht Langzeitstudien mit präpandemischen und mehreren Erhebungswellen ab März 2020 zeigte sich eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Laufe der Pandemie. Jedoch scheint ein Großteil ohne klinische Relevanz zu sein. Die Studiendaten belegen die Bedeutung von niederschwelligen Präventionsangeboten für die psychische Gesundheit. Pädagoginnen und Pädagogen können erste Ansprechpersonen zur Unterstützung sein.